Rezension: ‚American Gods‘ von Neil Gaiman

american godsTitel: ‚American Gods‘

Autor: Neil Gaiman

Sprache: Deutsch (Originalsprache: Englisch)

Medium: Hörbuch-Download

Sprecher: Stefan Kaminski

Anbieter: Audible

erschienen: 20.11.2007

Länge: 22 Std 10 min (ungekürzt)

Das Hörbuch erhaltet ihr im Download bei audible.de, und zwar HIER. Es kostet im Flexi-Abo nur € 9,95 (regulärer Preis: € 29,95) Auf der Produktseite findet ihr auch eine Hörprobe.

Beschreibung (audible):

Leibhaftige Götter in weißen Limousinen, ein alter Mann, der sich als Odin, der mythische Allvater, erweist, eine Münze, die Tote wiedererweckt, und eine monumentale Götterschlacht in der Mitte der USA – Neil Gaiman hat einen großen Roman über die Mythen Amerikas geschrieben.Hauptfigur ist Shadow, eine eher zwiespältige Gestalt, die nach einer dreijährigen Gefängnisstrafe in die Freiheit entlassen wird, nur um sich mit dem Tod seiner Frau und seines besten Freundes konfrontiert zu sehen, die ein Verhältnis miteinander hatten. Notgedrungen nimmt er einen Job bei einem merkwürdigen alten Mann an, der sich „Wednesday“ nennt. Wednesday entpuppt sich als Inkarnation des nordischen Gottes Odin und ist nur einer von zahlreichen übermächtigen Wesen, denen Shadow auf seiner Reise durch das Herz von Amerika begegnet. Im Laufe des Romans stellt sich heraus, dass der nordamerikanische Kontinent nicht nur die Heimat von Menschen aus der ganzen Welt geworden ist, sondern auch von Göttern aus den unterschiedlichsten Mythologien und Religionen.

Wie schon bei Sandman zaubert Neil Gaiman mit großer Virtuosität Figuren und Geschichten aus allen Kontinenten aufs Tableau und lässt seine Leser eine ihnen bekannte Welt mit völlig neuen Augen sehen. „American Gods“ überzeugt von der ersten bis zur letzten Minute – liebevoll gezeichnete Protagonisten, eine spannende und vielschichtige Handlung, unaufdringliche Kritik am Selbstbild der USA und ihrer Bewohner.

Zum Hörbuch:

Ich liebe Neil Gaiman. Als Grenzgänger zwischen den Genres, zwischen Realität, Mythologie und Magie ist er ein düster schillernder Vogel der englischen Exzentrik-Literatur. Nachdem mich The Ocean at the End of the Lane letztes Jahr völlig aus den Socken gehauen hat und ich auch dem verrückt-genialen Hörspiel Neverwhere viel abgewinnen konnte, war endlich einer von Gaiman’s ‚Klassikern‘ an der Reihe: American Gods. Und zwar auf Deutsch, weil es keine von Neil Gaiman selbst gelesene Aufnahme gibt, und weil Stefan Kaminski’s Kehlkopf eine unendliche Anzahl an Stimmen und Akkzenten beherbergt.

Es fängt recht erdverbunden an: Wir lernen Shadow kennen, der seinen letzten Tag im Knast absitzt, und ein paar seiner Mitinsassen. Dazu gehört auch Low Key Lyesmith, dessen Name beim geneigten Hörer bereits einen ersten Aha!-Moment auslösen sollte. Na, klingelt’s?

Ich bin an dieser Stelle froh, dass ich mich vor kurzen erst mit Kaminski’s Ring des Nibelungen und den nordischen Göttern auseinandergesetzt habe, denn außerhalb der Knastmauern begegnet uns schon der nächste und heuert den entlassenen Shadow als eine Art Bodyguard an. ‚Wednesday‘ ist eine beeindruckende Figur mit doppeltem Boden und nutzt den armen Shadow ganz schön aus. Schockiert angesichts des Todes seiner Frau Laura, begibt sich unser Ex-Häftling auf eine Art rauschhaften Roadtrip durch die USA und die Welt der alten und neuen Götter.

Was an Stringenz zu Beginn vorhanden war, endet damit auch schnell. Die Handlung ist nur eine Art Ausrede für a) eine Lehrstunde in Sachen globaler Mythologie und b) Gaiman’s Kritik an den USA und der modernen Welt.
Und da haben wir auch schon meinen ersten Kritikpunkt: Eigentlich ist American Gods kein Roman, sondern ein Flickenteppich aus Kurzgeschichten, Legenden, Träumen, Halluzinationen, Erinnerung, Zwischenspielen und – ganz am Rande – einer Mordermittlung. Das führt dazu, dass man manchmal den (dünnen) Faden verliert. Der Mischmasch wird zu einem verwirrenden Mosaik, bei dem man das große Ganze nicht gut sieht. Wo oben und unten ist, in welche Gefilde Gaiman mit seiner unfassbaren Vorstellungskraft entschwebt, ist nicht immer ganz fassbar. Einen Höhepunkt gibt es auch nicht wirklich. Zwar reden alle von einem aufkommenden Sturm, von der großen Schlacht, aber da muss ich euch enttäuschen: klirrende Schwerter und Feuerbälle schleudernde Götter werdet ihr am Ende vergeblich suchen. Der erwartete Showdown findet so nicht statt.

Den roten Faden liefert in American Gods nicht die Handlung, sondern die mitspielenden Figuren. Liebevoll ausgezeichnet, lässt Gaiman ein weltumspannendes Ensemble an Gottheiten vor uns aufmarschieren. Manche sind eindeutig, bombastisch, bekommen ihre eigene Vorstellung und begleiten Shadow durch das ganze Buch. Bei einigen muss man aber auch ganz genau hinsehen, um sie zu erkennen. Das macht zum einen Spaß, führt zu fröhlichem Recherchieren und faszinierenden Entdeckungen (wisst ihr, wer und was sich hinter ‚Ostern‘ verbirgt?). Zum anderen kann man aber auch leicht etwas bzw. jemanden verpassen, und mehr als einmal beschleicht mich das Gefühl, etwas nicht mitbekommen zu haben. Da verliert mich Gaiman schon mal.

Im Gegensatz zu den alten Göttern, die bei Gaiman zu halb vergessenen, sterblichen und sich mit Betrügereien durchs Leben schlagenden Gaunern verkommen sind, geraten die modernen Götter etwas nebulös. Ob ‚Mr. Town‘, ‚Mr. Train‘ oder der ewig Junkfood in sich stopfende Computerjunkie – die Götter der Neuzeit sind wenig definiert und besitzen keinen Charme. Klar, Gaiman kritisiert unsere technikverliebte Neuzeit, vor allem das selbstverliebte, gottlose Amerika. Aber das verpufft am Ende ohne großes Echo in einem recht faulen Zauber. Finde ich schade.

Was bleibt also? Mit Sicherheit Gaiman’s überbordendes Talent für skurille Parallelwelten und denkwürdige Figuren. Es macht Spaß, wenn nordische Gottheiten Ahnungslosen das Geld aus der Tasche ziehen und betörende Vamps ihre Freier im wahrsten Sinne des Wortes verschlingen. Zu rätseln, welche Gottheit sich hinter welcher Figur verbirgt, ist ein spannendes Spielchen. Und es gibt Momente, da trifft Gaiman’s Sprache ins Schwarze: Ebenso fantasie- wie unheilvoll übergießt er mich da mit Gänsehaut.

Nur leider, leider ist die Handlung schwach auf der Brust, teils verworren, und emotional kann mich das Ensemble – wie schillernd auch immer es auftritt – nicht mitreißen. Es funkt nicht zwischen mir und American Gods. Das muss ich ganz einfach so hinnehmen.

Zum Sprecher:

Bücher von Neil Gaiman sollte eigentlich Neil Gaiman selbst vorlesen. Leider gibt es keine Version von American Gods von ihm. Daher mein Griff zum deutschen Hörbuch und zu Stefan Kaminski.

Der ist natürlich alles andere als ‚2. Wahl‘. Kaminski ist ein komplettes Hörspielensemble in einer Person. Das von ihm benannte ‚Stimmen-Morphing‘ beherrscht er wie kaum ein zweiter. Auch hier bekommt jede Figur eine eigene, unverkennbare Stimme, und Kaminski schwelgt geradezu in der Chance, sein Talent für ausländische Akzente zu zeigen. Betagte afrikanische Trickster-Götter sind ebenso wenig ein Problem wie überirdische Wesen aus Russland, Skandinavien oder Haiti. Sexy säuselnde Göttinnen befinden sich bei Kaminski locker eine Gesamtoktave über ägyptischen Totengräbern und anderen männlichen Gestalten. Kaminski spricht nicht nur, er schmatzt, seufzt, keckert mit hörbarem Gesamtkörpereinsatz und sitzt am Ende garantiert wieder schweißgebadet vor dem Mikrofon. Für ein so außergewöhnliches Verwandlungstalent wie Kaminski ist American Gods ein gefundenes Fressen.

Fazit:

Ein Epos, ein Roadtrip durch Amerika, in Begleitung von Göttern aus allen Mythologien, die um ihre Existenz in modernen Zeiten bangen. Gaiman schafft bezaubernde, beunruhigende und enigmatische Figuren, geboren aus Folklore, Religion und Mythologie der ganzen Welt. Ein Fundus an Fantasie und überlieferten Legenden ergießt sich über den Hörer.
Die eigentliche Handlung verpufft dabei leider und gerät schon mal unter die Räder von Gaiman’s überbordender Vorstellungskraft. Es gelingt nur unzureichend, den aufziehenden Göttersturm, die Wiedererweckungsgeschichte von Shadow’s Frau und die verschwundenen Mädchen in einer kleinen Stadt zusammenzuführen. Nebenbei auch noch sanft Kritik an Amerika und den modernen ‚Göttern‘ zu üben, überfordert das ganze Konstrukt ein bisschen.
Ohne Zweifel bin ich immer noch ein riesengroßer Gaiman-Fan. Aber hier tischt er mir ein bisschen zu viel auf. Da kann auch Stefan Kaminskis großartiger, vielstimmiger Vortrag nur bedingt drüber hinwegtrösten.

Bewertung:

Hörbuch (Story, Sprache, Charaktere): 6 von 10 Punkten

Sprecher: 10 von 10 Punkten

American Gods soll übrigens als TV-Serie von Freemantle Media produziert werden. Wann genau, in welcher Form, und wer mitspielt – das steht alles noch nicht fest. Neueste Entwicklungen könnt ihr auf Neil Gaiman’s eigenem Blog verfolgen: http://journal.neilgaiman.com

4 Gedanken zu “Rezension: ‚American Gods‘ von Neil Gaiman

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